Von intelligenten Menschenverpackungen zu
Bauwerken mit natürlichen Regelungsmechanismen
Betrachtet man die heutige Architektur, wie beispielsweise auf der Architektur Biennale in Venedig ausgestellt, so sieht man eher die Selbstverwirklichung der Architekten im Vordergrund stehen. In immer ähnlicheren Entwürfen rund um den Globus hat eine „McDonaldisierung“ eingesetzt: Kosten, Ästhetik, Funktion – ob in Sao Paulo, Atlanta, Frankfurt oder Shanghai, es scheint einen Standardmenschen zu geben, ebenso wie Standardumweltbedingungen. Gegen die Auffassung kämpfen renommierte Architekten wie Volker Hartkopf oder Vivian Loftness an der Carnegie Mellon University in Pittsburgh/USA. Sie setzen sich für einfache Dinge ein: beispielsweise für Tageslicht und Fenster, die man öffnen kann. Die Denkweise, Häuser als Maschinen, in denen Menschen leben, zu verstehen (wie es einmal ein Architekt des 20. Jahrhunderts ausgedrückt hat), hat fatale Auswirkungen.
Während seit dem Jahre 2007 Käfighaltung für Hühner verboten ist, bleiben „Haltebedingungen“ für Menschen vielfach gesundheits- und umweltschädigend. Durch Wärme- und Energiesparverordnungen, Abdichtungen von Gebäuden – jedes Gebäude muss bekanntermaßen einen Dichtigkeitsnachweis haben – ist die durchschnittliche Innenraumbelastung drei- bis achtmal schlechter als durchschnittliche städtische Luft. Da vielfach Produkte, die in Innenräumen verwendet werden, im Allgemeinen nicht für Innenräume hergestellt werden, sondern sich an Kosten, Ästhetik und Funktion orientieren, führt das Ausgasungsverhalten der Produkte zu drastischen Gesundheitsbeeinträchtigungen. Gasdichte Gebäude werden dadurch quasi zu Gaskammern. Die Ausgasungsmenge liegt über einem Milligramm pro Quadratmeter. Eigentlich sollten Architekten und Innenarchitekten, die solche Gebäude verursachen, wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit belangt werden oder zumindest wegen „Chemical Harassment“. Intelligenz und handwerkliche Fähigkeiten werden vielfach noch immer durch Chemie ersetzt.
Die Denkweise, Häuser als Maschinen, in denen Menschen leben, zu verstehen, hat fatale Auswirkungen.
Immer mehr Farben, Stoffe und Einrichtungsgegenstände sind mit antibakterieller Ausstattung sowie mit Antipilzmitteln versehen. Dadurch werden Pilze und Keime immer besser trainiert. Allerdings macht die menschliche Lunge keine vergleichbaren Trainingsfortschritte. Im vergangenen Jahr sind etwa 20.000 Menschen in Deutschland an unspezifischen Lungenentzündungen gestorben. In dieser Situation wäre es schon ein Fortschritt, Gebäude als Verpackungen zu begreifen und Menschen den Lebensmitteln gleichzustellen. Der Ansatz, Dinge als Verpackung oder Inhalt zu verstehen, würde es auch ermöglichen, Baumaterial ebenso zu betrachten wie andere Materialien, die mit Lebensmitteln in Kontakt sind, und aus der Verpackungsverordnung von 1990 für Gebäude zu lernen. So wie Textilien primäre Menschenverpackungen sind, sind Gebäude in dieser Denkweise eine Umverpackung von Menschen, ein Auto eine Transportverpackung für Menschen, ein Schuh eine Fußtransportverpackung, ein Fußbodenbelag eine Fußbodenverpackung, sind Fernseher und Zeitungen Informations- und Unterhaltungsverpackungen und dergleichen mehr. Würde man diesen Ansatz beachten, so wäre die Gesundheits- und Umweltverträglichkeit der „Umverpackung Haus“ weit besser. Unsere neue Konzeption geht sogar noch weiter: Wir unterscheiden zwischen biologischen Nährstoffen und technischen Nährstoffen. Alles, was verschleißt (beispielsweise Bezugsstoffe, Schuhsohlen, Waschmittel) ist biologischer Nährstoff. Alles, was nicht verbraucht, sondern lediglich genutzt wird, gelangt in technische Kreisläufe. Menschen sind die einzigen Lebewesen, die Abfälle erzeugen. Die Biomasse der Ameisen und Termiten beträgt ein Vielfaches der Menschen, jedoch sind sie kein Umweltproblem, da diese Lebewesen intelligent genug sind, ihre Stoffwechselprodukte in Kreisläufe zurückzugeben. Baumaterialien und Bautätigkeiten sind bei weitem die größte Einzelquelle für Abfälle. Durch falsch verstandenes Recycling werden neben der bisherigen Umweltbelastung zusätzliche Belastungen in Kauf genommen. Beispielsweise sind alte Zeitungen nicht dazu geeignet, Dämmmaterial daraus zu machen, da sie dafür nicht konzipiert worden sind. Es ist ein Produktdesign zu fordern, das die nächste Nutzung des Bauwerkes bereits einplant – ein sogenanntes „Design for Reincarnation“. Im Buch „Cradle to Cradle“ haben wir dies konzeptionell vorgestellt.
Ein Bauwerk wie ein Baum
Man könnte sich vorstellen, ein Gebäude zu konstruieren, das der Umwelt nutzt, anstatt zu versuchen, Schädlichkeit in Teilbereichen partiell zu reduzieren – also nicht den ökologischen Fußabdruck zu minimieren, sondern einen großen Abdruck zu machen, der gleichzeitig ein Feuchtgebiet ist. Die Natur eignet sich nicht für menschliche Projektionen. Sie spart nicht, sie verzichtet nicht, sie vermeidet nicht. Das ganze Schuldvokabular der Öko-Effizienz ist auf Naturprozesse nicht anwendbar. Die traditionelle Schuld-Denkweise führt zu hässlichen, zerstörungsminimierenden Schuld- und Gebäudekomplexen. Dagegen ist Natur verschwenderisch und vielfältig. Es ist deshalb besser, ökologische Intelligenz statt ökologische Effizienz in Gebäuden einzusetzen. Wir nennen das „Öko-Effektivität“. Könnte man nicht ein Gebäude konzipieren, das Sauerstoff herstellt, die Luft reinigt, Kohlenstoff speichert, Wasser speichert, Wasser reinigt, Lebewesen vielfach Heimat bietet, ausschließlich Solarenergie nutzt, sich selbst vervielfältigt, Farben und Aussehen mit den Jahreszeiten wechselt und dazu noch hochwertige Substanzen herstellt und wieder in Kreisläufe zurückbringt?
Auf dem Weg zum Baumhaus
Architekten können vielleicht nicht immer Künstler sein, wie es Joseph Beuys für alle Menschen postuliert hat. Aber jeder Architekt könnte ein kreativer und intelligenter Nährstoffmanager sein. Wir haben versucht, ein solches Konzept in Gebäuden umzusetzen. Gemeinsam mit Kollegen vor Ort haben wir dieses Projekt am Oberlin College gestaltet. Das Haus übernimmt fast alle Funktionen eines Baumes. Dabei wird mehr Energie erzeugt, als das Gebäude selbst braucht. Die Baumaterialien sind gezielt auf ihre Kreislauffähigkeit ausgewählt. Auch im Bereich der Industrie- und Bürogebäude haben wir diese Ansätze einer Baumarchitektur umgesetzt. Zur Zeit entsteht in Detroit auf dem Gelände der Rouge Plant ein riesiges Grasdach für eine Produktionshalle, das durch die Sturmwasserrückhaltung 30 Millionen Dollar netto an Baukosten einspart. Viele Elemente des Bauprinzips „Baum“ werden dabei berücksichtigt. Als weiteres Beispiel dient das NIKE Headquarter in Hilversum. Bäume als Bauwerke und Bauwerke als Bäume sind selbstverständlich standortabhängig. Sie respektieren und fördern Vielfalt von natürlichen Lebensformen ebenso wie von lokalen kulturellen Gegebenheiten. Die traditionelle Denkweise Kosten, Ästhetik und Funktion, wird ergänzt durch ökologische Intelligenz, Gerechtigkeit und Lebensfreude. Solche Gebäude bedeuten jedoch eine gezielte Auswahl von Materialien. Ein „Materials Polling“ für technische Nährstoffe sozusagen, so dass Materialien wiederum in technischen Nährstoffkreisläufen eingesetzt werden können. Anders als es derzeit gehandhabt wird, wo beispielsweise im Baustahl wertvolle Buntmetalle durch Primitiv-Recycling von Autos verloren gehen, ist dieser Werkstoff dann ein echter technischer Nährstoff. Anders als in Zement und Beton, wo durch schädliche Additive und problematische Zusatzstoffe eine Kontamination der Biosphäre weiter voranschreitet, entstehen so echte Nährstoffkreisläufe.
Auf dem „Weg zum Baumhaus“ kann man auf das Umweltmanagement des Bundesverbandes Umweltbewusstes Management B.A.U.M. verweisen, das unser Konzept eines Gebäudepasses am ehesten in die Praxis umgesetzt hat. Ein solches Gebäude zu konstruieren, erfordert einen erheblichen Gestaltungs- und Regelungsbedarf. Vivian Loftness und Volker Hartkopf haben dies im „Intelligent Workplace“ für den Büroalltag vorgeführt. Ein solcher Standard könnte vielfältig angepasst und an den menschlichen Bedürfnissen orientiert sein. Die Notwendigkeit besteht, Bedürfnisse natürlicher Systeme aktiv zu fördern, anstatt einseitig unsere westliche Baukultur, die wir weltweit den Menschen überstülpen.
Ein erster Anfang sind Pflanzen in Gebäuden. Sie reinigen die Luft und befeuchten sie. Sie sind nicht weniger schädlich als wir, wenn wir weniger Müll machen oder weniger Wasser verbrauchen und dies als Umweltschutz ausgeben. Sie sind nützlich und förderlich, denn weniger schlecht allein ist noch lange nicht gut.
Prof. Dr. Michael Braungart: Cradle to Cradle Lehrstuhl Erasmus
Universität Rotterdam, University of Twente; Prof. Leuphana Universität Lüneburg
Mehr Informationen dazu auch unter:
http://www.epea.com
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